Beinatrophie: Was passiert, wenn man nicht mehr gehen kann?
Was ist Muskelatrophie?
Muskelatrophie, auch bekannt als Muskelschwund, ist die Schwächung und Schrumpfung von Muskelgewebe.1 Der Verlust von Muskelmasse und -kraft ist in der Regel auf längere Inaktivität und Nichtbenutzung der Beinmuskulatur zurückzuführen.2 Das Disuse-Syndrom beschreibt Funktionsverluste durch längere körperliche Inaktivität und kann die Körperfunktionen insgesamt beeinträchtigen.3 Dieses Phänomen macht sich besonders in den Beinen bemerkbar wenn wir aufhören zu gehen, da diese Muskeln an häufige Beanspruchung gewöhnt sind. Es tritt häufig bei Menschen auf, die nicht gehen können oder bettlägerig sind.2
Wenn Sie aufhören zu gehen oder Ihre körperliche Aktivität deutlich reduzieren, werden Ihre Muskeln nicht mehr beansprucht. Infolgedessen verlieren sie mit der Zeit an Kraft und Umfang.2,3 Wenn Muskeln über längere Zeit nicht benutzt werden, verändern sich die Nerven- und Muskelverbindungen (neuromuskuläre Endplatten). Diese Anpassungen führen dazu, dass die Muskeln schwächer werden und sich später schwerer wieder aufbauen lassen.3,4,5
Muskelschwund, definiert als Verlust von Muskelmasse und -kraft, steht in Zusammenhang mit Folgeproblemen, die die allgemeine Gesundheit und Lebensqualität beeinträchtigen können.1 Wenn die Muskelmasse abnimmt, sinkt häufig der Energieverbrauch im Ruhezustand 6, was die Gewichtskontrolle erschweren und das Risiko für Stoffwechselstörungen (z. B. Insulinresistenz, gestörte Glukosehomöostase) erhöhen kann.7 Mit der Zeit steigt damit auch das Risiko für Typ-2-Diabetes und Adipositas.6 Eine ungünstige Fett-/Muskel-Relation hängt zudem mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko (z. B. Hypertonie) zusammen.8
Muskelschwund ist außerdem mit einem erhöhten Risiko für Knochenmasseverlust und Frakturen (z. B. durch geringere Knochenmineraldichte) sowie funktionelle Einschränkungen verbunden.6 Darüber hinaus beeinflusst die Skelettmuskulatur Stoffwechsel- und Immunprozesse; Atrophie kann über Entzündung, oxidativen Stress, mitochondriale Dysfunktion und hormonelle Veränderungen systemische Effekte verstärken.1,3,9
In schweren Fällen kann Muskelatrophie zu langfristigen Behinderungen führen, die nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische und emotionale Gesundheit betreffen.
Ursachen für Beinatrophie
Das Verständnis der Ursachen und Auswirkungen kann helfen, vorzubeugen und gezielt gegenzusteuern. Außerdem unterstreicht es die Bedeutung, Muskeln regelmäßig zu belasten und Aktivität beizubehalten.
- Eine der häufigsten Ursachen für Beinatrophie sind Verletzungen. Wenn sich eine Person am Bein verletzt, kann sie es möglicherweise für einen bestimmten Zeitraum nicht richtig benutzen.10 Diese Nichtbenutzung kann zu Muskelschwund und Atrophie führen.2, 3,10
- Bestimmte Erkrankungen können ebenfalls zu einer Beinatrophie führen. Beispielsweise können neurologische Störungen in den Beinen zu Schwäche und Atrophie führen.6
- Darüber hinaus kann mangelnde körperliche Aktivität zu einer Atrophie der Beine beitragen.2 Wenn eine Person einen sitzenden Lebensstil führt und sich nicht regelmäßig bewegt, können ihre Muskeln schwächer werden und verkümmern. Selbst kleine Bewegungsmengen können erhebliche Vorteile haben, da sie dazu beitragen, die Muskelmasse zu erhalten und die weiterreichenden systemischen Auswirkungen von Inaktivität zu verhindern.11
- Nährstoffmangel (z. B. Protein, Energie, Mikronährstoffe) kann die Muskelgesundheit beeinträchtigen und Atrophie begünstigen.¹² Wichtig: Die Ursache der Beinatrophie sollte ärztlich abgeklärt werden, um einen passenden Behandlungsplan zu erstellen.
Was können Anzeichen für eine Beinatrophie sein?
Häufige Anzeichen für eine Beinatrophie sind Muskelschwäche und sichtbar/fühlbar verminderte Muskelmasse.2,3 In einigen Fällen können auch Schmerzen oder Missempfindungen in den betroffenen Muskeln auftreten.13 Der Prozess der Muskelatrophie ist nicht nur eine körperliche Veränderung: Er kann die Alltagskompetenz einschränken, das Gefühl von Unabhängigkeit mindern und das psychische Wohlbefinden beeinträchtigen.13
Die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit
Eine abnehmende körperliche Leistungsfähigkeit kann emotionale Belastungen auslösen: von Traurigkeit und Frustration bis hin zu Hoffnungslosigkeit.14 Viele Betroffene sorgen sich um Zukunft, Gesundheit und wachsende Abhängigkeit.
Soziale Interaktionen werden oft schwieriger, wenn die Mobilität eingeschränkt ist. Infolgedessen ziehen sich manche Menschen aus Aktivitäten und Beziehungen zurück, was das Risiko von Einsamkeit und emotionaler Isolation erhöht.15 Diese soziale Isolation kann wiederum die Symptome von Depressionen und Angstzuständen verstärken.16
Die Angst, anderen zur Last zu fallen, kann ebenfalls psychisch belastend sein. In einigen Fällen führt diese Angst dazu, dass Menschen es vermeiden, Hilfe in Anspruch zu nehmen, selbst wenn dies notwendig wäre, was ihre psychische Gesundheit mit der Zeit möglicherweise verschlechtert.
Was helfen kann, die Kontrolle zurückzugewinnen
Die Zusammenarbeit mit Fachpersonen für psychische Gesundheit, wie Psychologen oder Psychotherapeuten, kann wichtige emotionale Unterstützung und Anleitung bieten. Ein unterstützendes Netzwerk aus Familie und Freunden kann ebenfalls dazu beitragen, das Gefühl der Isolation zu verringern und ein Gefühl der Verbundenheit zu fördern. Die Teilnahme an Selbsthilfegruppen mit anderen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, kann Trost, Verständnis und ein Gefühl der Gemeinschaft vermitteln.
Auch bei eingeschränkter Mobilität kann die Ausübung geeigneter körperlicher Aktivitäten sich positiv auf die Stimmung und das psychische Wohlbefinden auswirken. Übungen wie Schwimmen, Stuhl-Yoga oder Armtraining können dazu beitragen, das körperliche Aktivitätsniveau aufrechtzuerhalten und das Gefühl der Vitalität zu fördern.
Das Setzen realistischer und erreichbarer Ziele, egal wie klein sie auch sein mögen, kann ein Gefühl des Fortschritts, der Sinnhaftigkeit und der Selbstbestimmung fördern.
Die Anpassung an eine neue Lebensweise bietet auch die Möglichkeit, neue Interessen zu entdecken. Ob durch das Erlernen einer neuen Fähigkeit, die Entwicklung einer kreativen Leidenschaft oder die Entdeckung neuer Hobbys – solche Aktivitäten können Menschen dabei helfen, ein sinnvolles Gefühl der Identität und Erfüllung wiederaufzubauen.
In einigen Fällen bedeutet die Wiedererlangung der Kontrolle auch die Wiederherstellung der Bewegungsfähigkeit und des Selbstvertrauens durch medizinische Lösungen. Orthesen wie KAFOs (knee-ankle-foot-orthosis, Beinorthese) können diesen Weg unterstützen, indem sie die Stabilität verbessern, sichere Bewegungen fördern und mehr Unabhängigkeit ermöglichen. Um mehr darüber zu erfahren, wie diese Orthesen funktionieren und wem sie helfen können, lesen Sie unseren Artikel über KAFO-Orthesen.
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