Winter - eine fatale Jahreszeit für Rückenschmerzen?
Wissenschaftliche Perspektiven: Mythos oder Realität?
Im Jahr 2014 veröffentlichte ein australisches Forscherteam eine Studie, die den Zusammenhang zwischen Wetterbedingungen und dem Auftreten von Rückenschmerzen untersuchte.1
Zwischen Oktober 2011 und November 2012 nahmen 993 Patienten teil, die an akuten Rückenschmerzen litten. Diese gaben das Datum ihrer Schmerzepisode an, parallel wurden Wetterdaten des Australian Bureau of Meteorology erhoben. Anschließend verglichen die Forschenden die Wetterbedingungen zum Zeitpunkt des Schmerzbeginns mit denen eine Woche und einen Monat zuvor.
Ergebnis: Es gab keinen Zusammenhang zwischen plötzlichen und akuten Rückenschmerzen und Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck, Windrichtung oder Niederschlag. Lediglich starke Winde zeigten einen minimalen Einfluss, wobei der Effekt in der Studie als relativ gering eingestuft wurde.
In 2016 untersuchte ein weiteres australisches Forscherteam die Daten von 1.604 Patienten, um zu prüfen, ob Wetterelemente die Schmerzintensität bei akuten Rückenschmerzen beeinflussen.2
Sie erfassten und notierten daher zwei Wochen lang täglich die Schmerzen der Patienten auf einer Skala von 0 bis 10. Beim Abgleich dieser Daten mit den Wetterdaten des Australian Bureau of Meterology, die über den betreffenden Zeitraum gesammelt wurden, konnten die Forscher keinen Zusammenhang zwischen Wetterbedingungen und Schmerzintensität feststellen.
Sie kommen zu folgendem Schluss: "Entgegen der landläufigen Meinung zeigten die Ergebnisse, dass die Wetterparameter Niederschlag, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck keinen Einfluss auf die vom Patienten berichtete Schmerzintensität während einer akuten Lumbalgie-Episode hatten."
Wie kommt es dann zu diesem Glauben?
2017 wurden zwei neue Studien veröffentlicht, die den Mythos erneut prüften. Die erste verglich die Arztbesuche von Medicare-Versicherten (Medicare ist ein US-Bundesprogramm, das Personen über 65 Jahre oder mit einer schweren Behinderung unabhängig von ihrem Einkommen eine Gesundheitsversorgung bietet.) über 65 Jahren wegen Gelenk- oder Rückenschmerzen an regnerischen versus regenfreien Tagen.3 In der zweiten Studie, aus dem Jahr 2016 untersuchten die Forschenden bei 981 Patienten, wie sich die Wetterbedingungen kurz vor dem Schmerzbeginn verändert hatten –zwischen zwei Tagen und einem Tag vor der Schmerzepisode.4
Beide Studien kamen zu dem Schluss, dass sich kein Zusammenhang zwischen Wetter und Rückenschmerzen feststellen ließe.
Trotzdem gibt es einige, die die Hypothese aufstellen, dass der Schmerz einen "psychologischen" Ursprung hat.5 Andere führen kontextuelle Gründe an, wie z. B. die Verringerung der Aktivität bei schlechtem Wetter.6 Es wäre eher die Inaktivität als Kälte und Nässe, die den Schmerz verschlimmern würde. Der fehlende Zusammenhang mit dem Wetter scheint bei chronischen Schmerzen4, wie z. B. bei Arthrose in der Lendenwirbelsäule, weniger klar zu sein. Eines ist sicher: Die Debatte ist noch lange nicht abgeschlossen.
Plausible physikalische Mechanismen der winterlichen Verschlimmerung
Auch wenn der Wetter-Schmerz-Zusammenhang nicht wissenschaftlich belegt ist, gibt es mehrere indirekte Faktoren, die erklären können, warum sich Rückenschmerzen im Winter subjektiv zu verschlimmern scheinen:
- Muskelverspannungen und schlechte Durchblutung7
Kälte kann Muskelkontraktionen, Gefäßverengungen (Vasokonstriktion) und Gelenksteifigkeit verursachen. Das führt zu einem Gefühl von Spannung oder Schmerz, besonders bei bereits empfindlichen Strukturen.
- Reduzierte körperliche Aktivität und Muskelabbau6
Im Winter bewegen sich viele Menschen weniger.
Das führt zu abnehmender Muskelkraft, schlechterer Haltung und höherem Risiko für Rückenschmerzen. Schon kurze Aktivitätseinheiten können dagegen helfen, den Muskeltonus und die Stabilität zu erhalten.
- Stress, Stimmung und Schmerzempfinden8,9
Lichtmangel, Feiertagsstress und allgemeine Müdigkeit können zu niedriger Stimmung oder saisonalen Verstimmungen beitragen. Psychische Belastungen beeinflussen die Schmerzverarbeitung und können Rückenschmerzen intensiver erscheinen lassen.
- Spezifische Tätigkeiten im Winter
Schneeräumen, schweres Heben oder Stürze auf glatten Flächen sind häufige Ursachen akuter Rückenverletzungen.
Fazit: Gibt es wirklich einen Zusammenhang?
Direkt (Wetter und Schmerzen): schwach bis nicht belegt. Die wissenschaftlichen Daten zeigen keinen systematischen Zusammenhang.
Indirekt (über die winterlichen Bedingungen): Plausibel und nachvollziehbar. Bewegungsmangel, Muskelverspannung, Kälte und psychische Faktoren können Schmerzen begünstigen. Stress und winterliche Aktivitäten stellen anerkannte erschwerende Faktoren dar.
(1) Arthritis Care Res (Hoboken). 2014 Dec;66(12):1867-72. doi: 10.1002/acr.22378.
Effect of weather on back pain: results from a case-crossover study.
(2) Rheumatol Int. 2016 May;36(5):679-84. doi: 10.1007/s00296-015-3419-6. Epub 2016 Jan 12. Does weather affect daily pain intensity levels in patients with acute low back pain? A prospective cohort study.
(3) BMJ. 2017 Dec 13;359:j5326. doi: 10.1136/bmj.j5326.
Association between rainfall and diagnoses of joint or back pain: retrospective claims analysis.
(4) Pain Med. 2017 Jun 1;18(6):1139-1144. doi: 10.1093/pm/pnw126.
Akute Schmerzen im unteren Rückenbereich? Do Not Blame the Weather-A Case-Crossover Study.
(5) Pinheiro MB, Ferreira ML, Refshauge K, et al. (2016). Symptoms of depression and risk of new episodes of low back pain: a systematic review and meta-analysis. Arthritis Care & Research, 68(9), 1315-1323. [DOI:10.1002/acr.22890]
(6) Steffens D, Maher CG, Pereira LS, et al. (2016). Prevention of low back pain: a systematic review and meta-analysis. JAMA Internal Medicine, 176(2), 199-208. [DOI:10.1001/jamainternmed.2015.7431]
(7) Vierck CJ, Hansson PT, Yezierski RP. (2016). Clinical and pre-clinical pain research: converging on translational relevance. Pain, 157 Suppl 1(Suppl 1), S119-S126 [DOI:10.1097/j.pain.0000000000000437].
8 Stubbs B, Eggermont L, Mitchell AJ, et al. (2016). The prevalence of pain in depression: a systematic review and meta-analysis. General Hospital Psychiatry, 39, 39-45. [DOI:10.1016/j.genhosppsych.2015.11.007]
9 Kudielka BM, Wüst S. (2019). Human models in acute and chronic stress: assessing determinants of individual hypothalamus-pituitary-adrenal axis activity and reactivity. Stress, 22(4), 403-413. [DOI:10.1080/10253890.2019.1584187]


